Zurück zum Links. Zurück zum Leben.

LINKSHÄNDIGKEIT / ERFAHRUNGSBERICHT EINER UMSCHULUNG / ZURÜCK ZU LINKS, ZUM URSPRUNG, ZUM LEBEN

 

Emilia A.* schult sich zurück. Zurück auf Links. Zurück auf Start. Deshalb heisst es auch Schulung, Rückschulung auf die linke Hand um ganz genau zu sein. Weil sie eine Schule braucht, um wieder zu lernen, was sie eigentlich schon immer konnte, nur ihr ganzes Leben lang verlernt hat: die Dinge mit links tun.

 

Emilia A. ist ein ziemlich klassischer Fall. Ihre Erziehung war rigide. Es gab nur rechts. Rechts war richtig. Rechts war Recht. Sonst nichts. Ausser der Vater. Und Schläge. Und die Bibel. Und ungefähr alles andere, alle anderen ausser sie selbst. Alle hatten Recht, das System hatte immer recht, sie war immer die im Unrecht. Es gab später einige wenige Hinweise in ihrem Leben, Hinweise darauf, dass sie wirklich eine Andere war. Dass das System nicht für sie zutraf. Dass sie eine Linke war und keine Rechte. Sie hatte auch mal selbst probiert, Dinge mit der linken Hand zu tun, aber nur ganz kurz und ohne Erfolg.

 

Emilia A. hat schon viele Therapien hinter sich. Sie ist Mitte Vierzig, die erste Psychotherapie war mit Mitte Zwanzig. Anfang Zwanzig bemerkte sie, dass etwas mit ihr wohl nicht stimmt. Etwas Grundlegendes. Und sie fand auch einiges. Nicht so viel in der Psychotherapie, die kratzte doch eher nur an der Oberfläche, obwohl sie da zweieinhalb Jahre hinging. Und sehr viele Bücher dazu las. Und die Psychologin eine Koryphäe sein sollte. Später versuchte sie mit vielen alternativen Methoden, die Ursachen zu ihren Problemen zu finden. Und sie fand viele. Es gab eine Menge, was in ihrer Kindheit schief gegangen war. Und es ging ihr daraufhin mit vielem besser. Mit sehr vielem.

 

Emilia A. dachte schon, jetzt sei sie doch überm Berg. Ziemlich wenigstens. Nur noch ein paar kleine Dinge waren hartnäckig. Zum Beispiel ihre Schlafstörungen. Sie hatten sich mit vielen Sitzungen über die Jahre mit mehreren Methoden schon sehr gebessert. Aber immer noch konnte sie keine Nacht ungestört durchschlafen. Eine gute Nacht war immer noch, wenn sie nur 3-4 mal aufwachte. Und es war auch noch normal, dass sie zweimal pro Woche 3-4 Stunden nachts wach war. Und sie konnte dann auch nur wieder schlafen, wenn sie sich in diesen Stunden selbst therapierte. Tat sie nichts, lag sie wach bis zum Morgen.

 

Emilia A. wollte nicht aufgeben. Sie wollte gesund werden. Sie wollte endlich wieder Kraft haben und nicht mehr ständig durch den Schlafmangel geschwächt sein. Und schlecht gelaunt. Und unkonzentriert. Und einfach nur die Hälfte von dem tun können, was sie eigentlich tun wollte und konnte.

 

Emilia A. suchte weiter. Bei der Internetsuche stieß sie auf eine Psychologin, die Rückschulungen anbot. Auf der Seite waren Berichte, waren Symptome aufgeführt, die bei einer falschen Händigkeit auftreten. Darunter waren auch Schlafstörungen. Die sollten bei der Rückschulung auf die echte Händigkeit, die linke Hand, verschwinden. Und Emilia A. dachte an ihre potentielle Linkshändigkeit. Und dass sie so gerne wieder normal schlafen möchte.

 

Emilia A. rief an bei dieser Psychologin. Sie vereinbarte einen Termin zum Test der Händigkeit. Ein einfaches Gespräch. Fragen der Pschologin, was sie mit welcher Hand tut und wie sie sich dabei fühlt. Ein einfacher Test. Den Stift halten und Strichzeichnungen wie für Kinder in der Vorschule nachzeichnen. Erst mit rechts, dann mit links. Und doch war es einer dieser besonderen Momente im Leben. Ein Moment, in dem etwas sehr Besonderes geschieht. Vollkommen spektakulär für sie in ihrer gefühlten Realität. Und dabei völlig schlicht in der äußeren Handlung.

 

Emilia A. war so berührt. Es war so eindeutig. Sie fühlte sich so anders mit links. So richtig. So zuhause. So wie sie sich immer fühlen wollte. Wie sie es sich immer ersehnt hatte. So wie sie es bei anderen oft wahrgenommen hatte. Und wie sie immer dachte: das ist für die so, das kann nie für mich so sein. Ich muss mich damit abfinden, dass die Welt für mich nie so schön sein wird. Und doch, jetzt fühlte sie sich so. Jetzt war diese Welt auch ihre Welt. Zum ersten Mal. Mit Mitte Vierzig.

 

Emilia A. fühlte sich wie ein Kind. Ein Kind, das sich immer in seiner Umgebung unwohl gefühlt hat, immer falsch, immer unglücklich. Aber alle anderen sagten, das muss so sein. Das ist so. So ist das Leben. So ist die Welt. So bist du. Und nun wusste sie, dass sie anders war. Dass es nicht ihre Welt war. Dass es noch nie ihre Welt gewesen war. Dass sie woanders zuhause war. Wie ein Kind, das adoptiert war und dem alle eingeredet hatten, dass die Adoptivfamilie die echte sei. Aber das sich da immer falsch gefühlt hatte. Immer unglücklich. Und nun wusste, es lag nicht an ihm. Das Falschfühlen war richtig gewesen. Es gehörte woanders hin.

 

Emilia A. war sehr glücklich. Obwohl sie nun den Weg gerade beginnen würde und die ganze Arbeit noch vor ihr lag. Sie war glücklich, denn sie wusste nun die Wahrheit. Sie kannte nun die Realität, die wahre Realität. Sie wusste, dass sie es immer gefühlt hatte, dass ihr Gefühl richtig gewesen war. Das Gefühl am ganz falschen Ort zu sein. Am Ort der RechtshänderInnen. Nun begann sie den Weg nach Hause zu gehen. Ins LinkshänderInnenland. Zu ihren Geschwistern, die alle LinkshänderInnen waren. Die alle waren wie sie. Die alle anders waren. Anders als die Mehrheit. Anders als die öffentlich präsentierte Mehrheit. Als deren Teil sie früher auch präsentiert worden war.

 

Emilia A. begann die Rückschulung bei der Psychologin. Sie machte die Übungen für sich zuhause. Sie ging zu den Gruppentreffen mit Interessierten, Rückschulenden und bereits Rückgeschulten. Der Austausch in diesem Kreis half ihr sehr. Er half ihr, die Rückschulung nicht zu vernachlässigen, zu verstehen, was während des Prozesses passierte, beantwortete ihre Fragen. Sie schrieb relativ viel mit links, aber schaffte es oft mehrere Tage nicht, die entsprechende Menge mit links zu schreiben. Nach über einem Jahr Rückschulung ging es ihr schon sehr viel besser. Dann ging sie in Urlaub. Vier Wochen. Da schrieb sie fast gar nicht. Und es begann ihr wieder schlechter zu gehen. Da merkte sie, wie wichtig es für sie war, täglich und in ausreichender Menge zu schreiben.

 

Emilia A. begann sofort regelmäßig mehr zu schreiben. Jeden Tag en bis drei Stunden, maximal ein bis zwei Ausnahmen pro Woche. Das war ganz schön aufwändig. Aber es gab ihr einen enormen Schub. Die innere Veränderung ging massiv und schnell vorwärts. Sie konnte es fast mit den Händen greifen.

 

Emilia A. ging es so gut, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Es war, als ob nun alle unterdückten Schichten nach oben drängten. Alle über so viele Jahre und Jahrzehnte unterdrückten Dinge, das ganze unterdrückte Selbst. Das sensible, aber vor allem das kraftvolle, das aggressive, das lustvolle, das geniesserische, das selbstbewusste, das eigenständige, das mutige, das kreative, das neugierige, das natürliche, das lebendige Ich. Einfach der Rest vom Ich, der so früh abhanden gekommen war und für immer verloren schien.

 

Emilia A. schlief. Sie schlief so wunderbar wie sie es schon seit zehn Jahren nicht mehr kannte. Es gab immer noch Störungen. Aber es gab fast nie mehr stundenlanges Wachsein. Und wenn, dann war der Grund ein später Kaffee oder Ähnliches. Einmal kam es sogar vor, da schlief sie insgesamt dreizehn Stunden. Und fühlte sich danach so blendend erholt und gesund. Es war fantastisch.

 

Emilia A. hatte so sehr das Gefühl nach Hause zu kommen zu sich selbst. Sie hätte nie vermutet, dass sie sich jemals in ihrem Leben so gut fühlen könnte. Es war nicht alles perfekt in ihrem Leben, aber diese riesigen alles überragenden schwarzen Berge, die ihr ganzes Leben überschattet hatten, waren so gut wie ganz verschwunden. Es gab noch Reste, aber sie konnte sich nun schon vorstellen, wie es sein würde, wenn sie den Weg noch ein bisschen weitergehen würde. Den Weg zu sich selbst. Und dann einfach nur noch sie selbst sein. Und ihr Leben leben. Ihr Leben, das wirklich ihr Leben ist. Ihr Leben als Linkshänderin.

 

Emilia A. findet ihr Leben jetzt schon sehr schön. Und freut sich umso mehr auf das richtige linkshändige Leben. Nach der Rückschulung. Endlich ganz da sein. Ganz zuhause bei sich selbst. Und das war alles, was ihr immer gefehlt hat. Sie wusste immer, dass ihr etwas fehlt. Auch wenn ihr die anderen das nicht geglaubt hatten, auch nicht die angeblichen Fachleute. Und sie hatte recht. Sie war froh, dass sie nicht aufgehört hatte zu suchen. Dass sie sich selbst geglaubt hatte. Und dass sie deshalb nun zu sich nach Hause kommen kann. Dass sie nun endlich in ihrem Leben ankommen kann.

 

Emilie A. kann jetzt einfach leben. Jetzt ist alles ganz einfach. Einfach und leicht. So wie es früher alles schwierig war. Auch wenn die anderen, alle anderen sagten, es sei doch ganz leicht. Es sei doch ganz leicht, so zu funktionieren wie alle. Es sei das Einfachste und das Vernünftigste. Für die, zu denen das System passte, war es so. Aber sie war anders. So versuchte sie ein Leben zu leben, das nicht ihres war. Das war mehr als schwierig. Es war unmöglich. Und genau deshalb war und ist es jetzt so einfach. Denn jetzt lebt sie einfach nur ihr eigenes Leben. Und das ist immer leicht und einfach, auch wenn es manchmal schwierig ist.

 

*Name von der Redaktion geändert

Foto ORNELLA BINNI on Unsplash

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Andrea Hofmann

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Weitere Information und Beratung:

Linkshändigkeit, Rückschulung und Linkshändigkeitstest

Dipl. Psych. Marina Neumann www.linkerhand.de

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